Nachruf Manfred Messerschmidt :
Die Wahrheit über die Wehrmacht

Von Gerald Wagner
Lesezeit: 2 Min.
Nestor der Militärgeschichte: Manfred Messerschmidt
Den Mythen über die Wehrmacht hat Manfred Messerschmidt ein Ende gesetzt. Er schuf dabei auch Maßstäbe für sein Fach. Im Alter von 96 Jahren ist der Militärhistoriker nun gestorben.

Man kann es gewiss als eine der größten Leistungen eines Wissenschaftlers würdigen, wenn seine Arbeit entscheidend dazu beigetragen hat, die Arbeit seiner Nachfolger leichter zu machen. Dem Militärhistoriker Manfred Messerschmidt ist das gelungen, weil er mit seinen Forschungen Konflikte austrug und zugunsten der wissenschaftlichen Wahrheit entschied, die seither nicht mehr ausgetragen werden müssen. Der gewonnene Erkenntnisfortschritt bedarf zwar der Absicherung durch damit öffentlich beauftragte Institutionen, aber wer ihn leugnet, kann dies immerhin nur zum Preis einer nicht kaschierbaren Ignoranz tun.

Wer also immer noch vom „Anstand“ und der „Sauberkeit“ der deutschen Wehrmacht redet und öffentlichen Stolz fordert für deren Leistungen im Krieg, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er sich historisch nur dumm stellt oder es tatsächlich ist. Dass heute in Deutschland solche Haltungen bestenfalls Randerscheinungen sind, mag 77 Jahre nach Kriegsende selbstverständlich erscheinen. Vergessen wird gerne, dass es das Ergebnis akribischer ­Forschung ist. Für all das steht Manfred Messerschmidt.

1926 in Dortmund geboren, wurde er noch gegen Kriegsende als Flakhelfer eingezogen. Sein Studium der Rechtswissenschaft brachte ihn nach Freiburg, weil er dort bei Gerhard Ritter studieren wollte. Er habe das Bedürfnis gehabt zu verstehen, was ihm und seiner Generation unter dem Nationalsozialismus passiert war, sagte er später. Messerschmidt forschte seit den Sechzigerjahren zur Wehrmacht. Seine 1969 veröffentlichte Studie zur deren Indoktrination durch den NS-Staat und ein Zweitstudium der Rechtswissenschaft führten ihn zu seinem Lebensthema, der Wehrmachtsjustiz. Von 1970 bis 1978 führte er das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) der Bundeswehr in Freiburg als dessen leitender Historiker.

Für Messerschmidt war klar, dass eine deutsche Militärgeschichte nach 1945 auch eine Gesellschaftsgeschichte sein musste. Die Staatsbürger in Uniform der noch jungen Bundeswehr sollten über eine Militärgeschichte verfügen können, die den hohen Anforderungen der „inneren Führung“ des Soldaten genügen musste: Traditionsfähiges und nicht Traditionsfähiges selbst unterscheiden zu können. Von der Härte der Auseinandersetzungen, mit der im MGFA um die Bedeutung dieses Auftrages gekämpft wurde, zeugen etwa die Kontroversen um den deutschen Angriff auf die Sowjetunion 1941 und die sogenannte „Präventivkriegsthese“ im 1983 erschienenen vierten Band des von Messerschmidt konzipierten Reihenwerkes „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“. Dass die deutsche Militärgeschichte heute international als Vorbild dafür gilt, wie eine Nation die Geschichte ihrer Streitkräfte aufzuarbeiten hat, verdankt sie nicht in geringem Maß Manfred Messerschmidt, der am 19. Dezember im Alter von 96 Jahren verstorben ist.